Übersicht mit Shortlinks:

Wechsel der Klassifikationssysteme: Von ICD-10 zu ICD-11

Die Symptomatik von Autismus-Spektrum-Störungen kann individuell ganz verschieden ausgeprägt sein – doch es gibt diagnoserelevante Gemeinsamkeiten.

Wichtig zu wissen ist vorab, dass wir uns aktuell in einem Wechselzustand von der alten zur neuen Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD = „International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems“) befinden. In Deutschland wird aktuell noch nach dem alten Klassifikationssystem diagnostiziert – ICD-10 -, welches jedoch in den nächsten Jahren von der ICD-11 abgelöst wird.

Der Begriff Autismus-Spektrum-Störung entstammt bereits der ICD-11 und wird von Menschen aus dem Autismus-Spektrum und einer Vielzahl therapeutischer und medizinischer Fachkräfte schon jetzt verwendet. Gleichzeitig werden die Diagnosen noch nach ICD-10 gestellt: Frühkindlicher Autismus (F84.0), Atypischer Autismus (F84.1) und Asperger Syndrom (F84.5). Die Kategorien entfallen mit ICD-11, welche Autismus als Autismus-Spektrum-Störung vor allem nach Beeinträchtigungsgrad der Intelligenz und der Sprache klassifiziert.

Die folgenden Beschreibungen beziehen sich in erster Linie auf die ICD-10, da sie das bisher verwendete Klassifikationssystem darstellt.
Hinweise zu Abweichungen und Veränderung bei der ICD-11 sind an den entsprechenden Stellen vermerkt.

Obwohl ich mich auf die ICD-10 beziehe, verwende ich dennoch den umfassenderen Begriff der Autismus-Spektrum-Störungen.

Autismus – Kernsymptome

1. Qualitative Beeinträchtigungen der sozialen Interaktion

2. Qualitative Beeinträchtigungen der Kommunikation

3. eingeschränktes, stereotypes, sich wiederholendes Repertoire von Interessen und Aktivitäten

Bei ICD-11 hinzukommend: anhaltende Über- und Unterempfindlichkeiten gegenüber sensorischen Reizen (im Folgenden, da an ICD-10 orientiert, als Nebensymptom gelistet)

Diese Kernsymptome gelten als Diagnosekriterien für alle drei ICD-10 Einteilungen des Autismus, sind jedoch unterschiedlich ausgeprägt und zeigen sich auf ganz verschiedene Art und Weise.

Autismus zählt zu den tiefgreifenden Entwicklungsstörungen, weist eine hohe genetische Komponente auf, ist angeboren und gekennzeichnet durch eine neurodivergente Entwicklung des Gehirns. Somit unterscheiden sich Wahrnehmung, Denken, Fühlen und Verhalten von dem eines  neurotypischen* Menschen. Es ist weder besser noch schlechter – es ist anders. Die Art des Seins ist keine Krankheit, sondern entspringt einer anderen Funktionsweise des Gehirns – vergleichbar mit einem anderen Betriebssystem -, welche ein Leben lang bestehen bleibt.
(*neurologische Entwicklung entsprechend der gesellschaftlichen Norm)

Die Kernsymptome im Detail

1. Qualitative Beeinträchtigungen der sozialen Interaktion

Bei Autismus-Spektrum-Störungen ist die soziale Interaktion in der Regel qualitativ beeinträchtigt. Das bedeutet, dass die zwischenmenschliche Kontaktgestaltung bei autistischen Menschen anders ist als bei nicht-autistischen Menschen; häufig ist sie erschwert.

Kontakte, Freundschaften & Theory of Mind

So ist es für die meisten Menschen mit Autismus schwierig, Kontakte zu knüpfen, Freundschaften zu schließen und diese aufrecht zu erhalten. Dadurch, dass die Fähigkeit sich in andere Menschen hineinzuversetzen und ihre Perspektive einzunehmen oftmals eingeschränkt ist (Defizite bei der Theory of Mind), werden z.B. Stimmungslagen der anderen nicht richtig erkannt und entsprechend nicht adäquat darauf reagiert. Dies wiederum führt oftmals zu Missverständnissen: Es wird angenommen, dass es dem autistischen Menschen die Gefühle anderer egal sind – das ist jedoch fast nie der Fall. Aber wie soll man auf die Gefühle seines Gegenübers angemessen reagieren, wenn man sich dieser erstens nicht bewusst ist und zweitens intuitiv nicht weiß, wie man sich in einer solchen Situation verhalten soll? Nicht-autistische Menschen erwarten in der Regel, dass man subtile Hinweise auf Gefühle anhand von Mimik, Gestik und Kontext erkennt. Mit Autismus ist das jedoch ausgesprochen schwer und für viele auch unmöglich oder nur unter größtem kognitiven Kraftaufwand machbar. 
Bei jüngeren Kindern mit Autismus ist oftmals zu beobachten, dass sie keinen (oder sehr intensiven) Blickkontakt herstellen, ihre Eltern wenig in ihr Spiel mit einbeziehen, Schwierigkeiten haben und Gefühle und Wünsche zu äußern (sowohl verbal als auch nonverbal).

Spielverhalten

Auch im Spielverhalten zeigen sich oftmals Auffälligkeiten in der sozialen Interaktion: Insbesondere beim Frühkindlichen Autismus zeigt sich häufig kein Interesse am Rollen- oder Fantasiespiel mit anderen. Spielzeuge werden stattdessen lieber sortiert, geordnet oder von verschiedenen Blickwinkeln aus betrachtet, ohne dabei jemand anderen mit einzubeziehen.  Auch fällt es vielen autistischen Kindern schwer, von ihren eigenen Spielregeln abzuweichen und sich flexibel auf die Vorstellungen anderer einzulassen (häufig beim Asperger-Syndrom). So ist bei Rollenspielen – wenn sie denn gespielt werden – häufig zu beobachten, dass es strikte vom autistischen Kind vorgegebene Pläne gibt, wie und was gespielt werden soll. Oftmals werden auch bestimmte Szenen immer wieder wiederholt (repetitives Spielverhalten).

2. Qualitative Beeinträchtigungen in der Kommunikation

Verbalsprache

Bei Autismus-Spektrum-Störungen zeigen sich fast immer Auffälligkeiten in der Sprache und im Sprachverhalten. Beim Frühkindlichen Autismus setzt die Verbalsprache oftmals stark verzögert ein (z.T. erst mit 3 Jahren oder später), wird nur sporadisch eingesetzt oder bleibt komplett aus. Beim Asperger Syndrom setzt der Spracherwerb häufig zu einem ähnlichen Zeitpunkt wie bei neurotypischen Kindern ein – oftmals sogar früher und mit deutlich schnellerem Aufbau des Wortschatzes. Die Verbalsprache ist häufig von einer ungewöhnlichen Betonung und Sprachmelodie geprägt (von monoton bis singend), gerade beim Asperger Syndrom ist sie oftmals sehr konkret und kann viele Fachbegriffe enthalten, die eher altersuntypisch sind. Auch das ständige Wiederholen von gesprochenen Wörtern ist eine häufig auftretende Auffälligkeit (Echolalie).

Nonverbale Kommunikation

Sowohl Einsatz als auch Verständnis von nonverbaler Kommunikation (Gestik, Mimik, Körpersprache, Tonfall) ist häufig eingeschränkt oder nicht vorhanden.

… Fortsetzung folgt :)! ..